02 Lesung 2016

Mahnmal zur Bücherverbrennung, Kooperation mit Katharina Hohmann, 2017

Intervention:       
morgendliche Lesung aus einem täglich wechselnden Buch
Bodenvitrine in Bodenplatte eingelassen
Bücherregal mit 1200 Büchern in der Universitätsbibliothek

Verortung:
Residenzplatz und Universitätsbibliothek

Material:
Bücher, leicht beheizte Bodenvitrine, Bodenplatte aus eingefärbten Beton, Bücherregal

Dimension:
Bodenvitrine: 66 x 66 cm, etwa 25 cm tief, Bodenplatte 240x240 cm
Bücherregal der Universitätsbibliothek für etwa ca. 20 laufende Meter

Beteiligte:
Studierende der Schauspielerei, Mozarteum
Schauspieler/innen der Salzburger Theater, Autor/innen

Vermittlung:
Je Ort eine Beschriftung in D / E

Die Lesung
Jeden Morgen, pünktlich zum Sonnenaufgang, dann, wenn es noch ganz still ist auf dem Salzburger Residenzplatz, liest ein Mensch aus einem Buch. Im Februar geht die Sonne in Salzburg etwa um 7.30 Uhr auf, am 1. Juni um 5.12 Uhr und Anfang September um 6.30 Uhr, Ende September um 7.00 Uhr und an Weihnachten um wenige Minuten vor acht Uhr. An 365 Tagen im Jahr wird in Salzburg gelesen, im Regen und auch im Schnee. Bei Wind und Wetter und an zarten Frühjahrsmorgen mit Vogelgesang. Es sind besondere, konzentrierte Momente, die nicht jeder Bürger kennt, Touristen kaum. Ein Mensch kommt zum Ort der ehemaligen Bücherverbrennung auf den Residenzplatz und holt ein Buch aus seiner Tasche. Es ist eines der 1200 Bücher, die am 30. April 1938 auf dem Salzburger Residenzplatz verbrannt wurden. Etwa eine halbe Stunde lang liest er/sie laut aus diesem Buch vor.

Die Person ist im Lesen geübt: es handelt sich um eine/n Studierende/n der darstellenden Künste des benachbarten Mozarteums oder eine/n Schauspieler/in der Salzburger Theater, oder vielleicht eine/n Autor/in des Literaturvereins Salzburg. Es ist wichtig, dass professionell gelesen wird, damit die Würde jedes einzelnen Buches zur Geltung kommt. Jeden Tag wird ein anderes Buch aus dem Konvolut der Menge an verbrannten Büchern herausgenommen, und durch die Lesung in den Tag getragen. Autor/innen wie Lion Feuchtwanger, Irmgard Keun, Stefan Zweig oder Alexandra Kollontai, um nur 4 von 1200 zu nennen, erfahren hier einzeln eine Wiedergutmachung. Das Gedenken wird lebendig und Teil einer Stadt, ihrer Bürger und Besucher.

Um den Lesenden scharen sich Menschen, die zur Lesung gekommen sind, nicht ganz zufällig, denn der Ort und die Zeit sind ein Geheimtipp geworden in Salzburg, der sich über die Grenzen der Stadt hinaus herum gesprochen hat. Aus Reiseführern kann man von der täglichen Lesung erfahren, in Hotels liegen Hinweisblättchen, die Website der Stadt Salzburg hat dieses besondere, aktive Mahnmal längst in seine Highlights aufgenommen. Man spricht von diesem stillen und zugleich beredtem Event.
Eine umlaufender Satz auf der Bodenplatte des Mahnmals (D/E) auf dem Residenzplatz markiert den Ort der Lesung:
HIER WIRD TÄGLICH ZU SONNENAUFGANG AUS EINEM BUCH GELESEN. ES IST JEWEILS EINES DER 1200 BÜCHER, DIE AM 30. APRIL 1938 VON NATIONALSOZIALISTISCHEN BÜRGERN AN DIESER STELLE VERBRANNT WURDEN.
Zum Ende der Lesung bückt sich der/die Lesende. Er/sie öffnet mit einem Schlüssel den direkt in die Bodenplatte eingelassenen Schrein. In diesem befindet sich, auf einem kleinen Sockel liegend ein Buch. Es wird herausgenommen und gegen das Buch getauscht, aus dem unmittelbar vorher gelesen wurde. Die Bodenvitrine wird geschlossen.
Der/die Leser/in geht seines/ihres Weges. Es ist kurz nach sieben. Der Tag beginnt. Vielleicht ist ja schon ein Café geöffnet?

Mit diesem täglichen Ritual, bekommt die Stadt Salzburg ein ganz neuartiges Denkmal. Es lebt durch das Aktivieren der Bücher, durch die menschliche Stimme und die Präsenz an allen Tagen des Jahres. Wenn aus allen Büchern gelesen werden würde, dann begänne nach dreieinhalb Jahren der Zyklus von Neuem.

Inzwischen haben die 1200 Bücher, die die Nazis für immer vernichten wollten, auch einen neuen, sichtbaren Ort bekommen. In der Universitätsbibliothek, 5 Gehminuten vom Residenplatz entfernt, wird ein permanentes Sonderregal eingerichtet und gekennzeichnet (D/E) :
IN DIESEM REGAL FINDEN SIE DIE 1200 BÜCHER, DIE AM 30. APRIL 1938 AUF DEM SALZBURGER RESIDENZPLATZ VERBRANNT WURDEN. DIEJENIGEN BÜCHER, VON DENEN ES KEINE ORIGINALAUSGABE MEHR GIBT, FINDEN SIE IN DIESEM REGAL IN DER AKTUELL KÄUFLICHEN AUSGABE ODER ALS FAKSIMILE DES URSPRÜNGLICHEN BUCHES.
Das Regal, in gleicher Bauweise wie alle Regale der Universitätsbibliothek, ist allen Menschen zugänglich, die Bücher können jedoch nicht ausgeliehen werden. Von dieser Regelung ist lediglich der/die Leser/in, der/die zum täglichen Sonnenaufgang auf dem Residenzplatz liest, iausgenommen. Er/sie kann sich das Buch für die morgen anstehende Lesung für einen Tag ausleihen.